Antje Bosselmann-Ruickbie
Am 17. Dezember 1897, morgens um zwei Uhr, starb in Oberkassel im Alter von 88 Jahren Adeline Jaeger, geb. Heuser, an Lungenkatarrh. Drei Tage später wurde sie auf dem Oberkasseler Friedhof beerdigt. So steht es im Sterberegister des evangelischen Pfarramtes Oberkassel.
Adeline Heuser war in Gummersbach geboren worden, hatte aber die letzten zehn Jahre ihres Lebens in Oberkassel verbracht. Dort wohnte sie in der Kalkuhlstraße, der früheren Bahnhofstraße, mit zwei ihrer Töchter. Sie war eine begabte Malerin, die sich hauptsächlich auf Porträts spezialisiert hatte, aber auch Landschaften und Blumenstilleben gehörten zu ihren Werken, wie z. B. der mit Blumen bemalte Teller beweist, der sich im Besitz des Oberkasseler Heimatvereins befindet. Das Talent zum Malen war in ihrer Familie sehr häufig ausgeprägt, besonders bei den weiblichen Familienmitgliedern, denn nicht nur Adeline selbst, sondern auch die Schwester ihrer Mutter, Henriette Jügel, ihre beiden Schwestern Louise und Alwine sowie ihre Tochter Clara waren Malerinnen. Leider ist Adeline Jaeger die ihrem Können entsprechende Berühmtheit versagt geblieben, da zu ihrer Zeit der „Beruf der Künstlerin dem vorherrschenden Rollenverständnis, der Bindung an Haus und Familie“ (1) widersprach und somit das Malen für sie immer an zweiter Stelle stehen mußte. Allerdings genoß sie die Möglichkeit, von 1834 bis 1838 am Städelschen Institut in Frankfurt und an der Düsseldorfer Akademie (dort von Frühjahr 1836 bis Anfang 1838) zu studieren, wofür sie aber lange kämpfen mußte.
Ihre Lebenserinnerungen, (2) in denen sie ausführlich über diesen Kampf für ihren Berufswunsch sowie über ihre anschließende Zeit an der Düsseldorfer Akademie berichtet, sind denn auch betitelt mit dem Satz: „Wie ich endlich doch Malerin wurde.“ Ihre Karriere endete aber schon früh, als sie auf Drängen ihrer Familie im Jahre 1838 heiratete, ein Schritt, den sie oft in ihrem Leben bereut hat. Ihre Biographie steht daher stellvertretend für viele Frauenleben im 19. Jahrhundert. In dieser Sammlung von Biographien Oberkasseler Persönlichkeiten ist sie übrigens als einzige Frau vertreten.
Doch nun zu ihrem Lebenslauf: Adeline Heuser wurde am 31. März 1809 in Gummersbach geboren, wo sie auch einen großen Teil ihres Lebens verbrachte. Ihr Vater Heinrich Daniel Theodor Heuser war ein gutsituierter Kaufmann, der mit seinen Brüdern Peter Georg und Johann Caspar ein Handelshaus besaß, das Farbwaren, Wein und Manufakturwaren, auch in der weiteren Umgebung, vertrieb. (3) Heinrich Daniel Theodor Heuser hatte 1804 Catharina Louise Jügel aus Berlin geheiratet, die das künstlerische Talent in die Familie brachte: Ihr Bruder Friedrich (gestorben 1833) hatte eine Professur für Kupferstecherkunst an der Königlich Preußischen Akademie der Künste in Berlin inne, während ihre Schwester Henriette Miniaturporträts und Landschaften in Federzeichnung und Aquarell malte, mit denen sie oft auf den Berliner Akademie-Ausstellungen vertreten war. (4)
Das Ehepaar Heuser hatte insgesamt neun Kinder, von denen drei Töchter das Talent zum Malen geerbt hatten, nämlich Louise, Alwine und eben Adeline. Alwine und eine weitere Schwester, Ida, heirateten später zudem noch sehr bekannte Maler: Alwine den Maler und Graphiker Adolf Schroedter, Ida einen der Hauptvertreter der Düsseldorfer Historien- und Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, Garl Friedrich Lessing. Adelines Talent wurde zwar recht früh erkannt, aber nicht gefördert, da der Vater ihren Wunsch, Malerin zu werden, nicht akzeptierte: „Bisher war alles an dem zähen Widerstand meines Vaters gescheitert, der auf alle meine Bitten ein stetes ,Nein!‘ hatte … So wurden alle meine Bitten … damit abgewiesen: die Mädchen müßten tüchtig die Haushaltung lernen.“
1831 mußte sie für ein Jahr zu ihrem Onkel Garl Jügel nach Frankfurt gehen, um dessen minderjährige Söhne nach dem Tod seiner Ehefrau zu versorgen. Danach kehrte sie zurück nach Gummersbach, da sie dort verlobt war. Diese Verlobung löste sie allerdings auf, weil sie trotz der widrigen Umstände fest davon überzeugt war, Malerin zu werden, und Heiraten kam für eine Malerin eben nicht in Frage. Sie nutzte jede Ghance zum Malen, so zum Beispiel als ihr Onkel Carl Jügel aus Frankfurt den Düsseldorfer Maler J. F. Dielmann nach Gummersbach schickte, der Skizzen von der Umgebung für ihn zeichnen sollte: Adeline begleitete ihn oft auf seinen Spaziergängen, um so viel wie möglich zu lernen. (5) Schon im nächsten Jahr — 1834 — mußte sie wieder nach Frankfurt gehen. Dort hatte sie aufgrund ihrer Begabung und ihres festen Willens, Malerin zu werden, bald ihren Onkel überzeugt, der Adeline unterstützte. Er besorgte ihr nicht nur einen Platz im Städelschen Institut in Frankfurt, wo sie Unterricht bei dem Wiener Porträtmaler Binder erhielt, der von 1835 bis 1839 als Lehrer am Städel war, sondern er sorgte auch dafür, daß Adelines Schwester Alwine ebenfalls nach Frankfurt kam, um Adeline im Haushalt zu unterstützen:
„Onkel sagte: schreibe nach Hause an die Mutter, sie soll uns Alwinchen, die jüngste Schwester, schicken, dann kannst du auch immer malen! Ich bettelte nun so lange, bis sie wirklich kam!“ 1835 entstand dann ein Porträt von Alwine, das sogar den Vater überzeugte, ihr den Wunsch nach einer Ausbildung als Malerin zu erfüllen; Das Porträt „gelang mir sehr und nun sandte ich es Vater nach Hause, endlich wurde er weich und schrieb: er sehe doch, es sei mein heiliger Ernst, ich solle denn auch nach Düsseldorf, denn dahin ging längst mein Sehnen!“ So begann sie im Frühjahr 1836 in Düsseldorf an der Akademie zu studieren, deren Leiter seit 1826 Wilhelm Schadow war, der Sohn von Gottfried Schadow, der wiederum Direktor der Königlichen Kunstakademie in Berlin war. Der Zeit an der Düsseldorfer Akademie widmete Adeline Jaeger in ihren Lebenserinnerungen sehr viel Raum — für sie war es die schönste Zeit ihres Lebens. Sie kam nach Düsseldorf, als die Akademie unter Wilhelm Schadow in der Phase ihrer größten Blüte war (diese Schadow-Schule wird im allgemeinen als Düsseldorfer Malerschule bezeichnet (6)). Sie galt als eine der führenden Lehrstätten und hatte Anteil an einer Veränderung des Malstils und des Zeitgeschmacks, denn um diese Zeit — etwa 1830 — begann die Abkehr von Klassizismus und Romantik zugunsten des Realismus.
Unter dem Einfluß der revolutionären Bewegungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schien sowohl die „feierliche Ernsthaftigkeit“ (7) des Klassizismus mit der zeichnerischen Struktur und den glatten Farben und Oberflächen, als auch die „verspielte“ Romantik überholt und der Zeit nicht mehr angemessen zu sein. Das sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht aufstrebende Bürgertum fand in dem sogenannten bürgerlichen Realismus eine neue, geeignetere Kunstform. Das Porträt zum Beispiel, das allerdings in der Düsseldorfer Malerschule eher eine untergeordnete Rolle spielte (Schadows bevorzugte Themen waren religiöse und profane Historienmalerei), war jetzt nicht mehr als Statussymbol gedacht, sondern sollte auch das Wesen der Person mit darstellen, sollte auf eine unbefangene Weise eine Atmosphäre um die Figuren schaffen: Es „zeigt sich das Bestreben, die Dargestellten nicht nur in ihrer physiognomischen Eigenart zu schildern, sondern darüber hinaus das Wesen der Persönlichkeit einzufangen, das sich im Bild nicht allein durch den gesellschaftlichen Status, sondern auch durch individuelles Selbstbewußtsein ausdrückt.“ (8)
Dies gelang durch eine „tiefgründige Naturauffassung“ (9) sowie stilistisch durch verstärkte Lichteffekte, tonigere Farbigkeit und weniger klar umrissene Linien sowie weniger glatte Oberflächen als dies im Klassizismus der Fall gewesen war. Diese Beschreibung trifft auf die Bilder Adeline Jaegers zu. Sie versuchte, ihren Bildern Leben „einzuhauchen“, sie verkörpern keine akademischen Ideale, sondern sind lebensnahe Porträts — meist Mitglieder ihrer Familie oder ihres engeren Bekanntenkreises —, die, zumindest in späterer Zeit, nur für den privaten Gebrauch gedacht waren und somit auch als Statussymbole gar keinen Sinn gehabt hätten. Diese für das Biedermeier typischen Adeline Jaegers Kinder Adele und Carl Eduard Porträts zeigen die Personen in schlichter aber adretter Kleidung, die jeden Prunk vermissen läßt: Sie setzen sich von den klassizistischen Porträts mit ihrer kühlen Farbigkeit stark ab und zeigen große Lebensnähe. So sehen ihre Kinder Carl Eduard und Adele mit der Puppe eher aus, als hätte man sie beim Spiel unterbrochen und nicht für das Porträtieren zurecht gemacht, sogar der Hemdenkragen des Jungen ist noch ein wenig unordentlich umgeschlagen. Ebenso wirkt es in dem Bild, das ihre Tochter Clara und ihren Sohn Friedrich Wilhelm zeigt: Auch hier schauen die beiden Kinder, in ihrer Beschäftigung unterbrochen, auf und wenden sich den Betrachtern zu.
Viele der Zeitgenossen Adeline Jaegers, die um oder nach 1810 geboren wurden, lehnten wie sie den „alten“ Stil ab. Dieser Stil wurde an der Akademie noch durch ihren Direktor Schadow vertreten, der geprägt war von den Nazarenern, mit denen er in Rom zusammen gearbeitet hatte: „Wenn nicht Programm, so doch absichtsvoll gelehrt waren … fast alle anspruchsvollen Bilder Wilhelm von Schadows. Sie zeigten sich dadurch mehr dem 18. Jahrhundert und der theoretisch idealen Grundlegung der Malerei verhaftet als die realistisch-illustrativen, wenn auch gefühlvollen Bilder seiner Schülergeneration.“ (10) Adeline als Mitglied einer neuen Malergeneration beschreibt ihren Eindruck von der Malerei Schadows bei der ersten Begegnung mit dem Direktor der Düsseldorfer Akademie folgender maßen: „Schadow war am Malen eines großen Bildes … Es war der tote Jesus im Schoß der Maria. Ein trockenes Bild, für mich ohne Leben und Interesse! Ich konnte nichts darüber sagen, heucheln konnte ich nicht und da schwieg ich.
Schadow — als Künstler weniger anerkannt als in seiner Lehrtätigkeit (11) – ist aber bis Ende der dreißiger Jahre, als viele Maler die Akademie verließen, derjenige, der durch seine Persönlichkeit, sein Organisationstalent und seine Geselligkeit die Gruppe prägte. Auch Adeline Jaeger berichtet in ihren Lebenserinnerungen von den verschiedenen Treffen und Testen, wobei sie viele Maler kennenlernte wie Schrödter, Lessing, Hübner, Bendemann, Sohn, Schirmer, Hildebrandt, also den „Kern“ der Düsseldorfer Malerschule, eben diejenigen Schüler Schadows, die ihm aus Berlin gefolgt waren.
Diese für Adeline so glücklichen Zeiten gingen aber bald zu Ende, denn im Sommer 1837 mußte sie zurück nach Gummersbach, da ihr Vater einen Unfall gehabt hatte. Allerdings war die Rückkehr nach Düsseldorf geplant. Da lernte sie den neuen Pastor Friedrich Wilhelm Jaeger kennen. Ihre Schwester Ida hatte ihr von Gummersbach aus häufig Briefe geschrieben und oft von dem neuen Pastor im Dorf geschwärmt, wofür Adeline allerdings wenig Verständnis auf brachte: „… denn ich konnte nur für Maler Interesse haben und dachte: sollte ich noch jemals heirathen, so müßte es ein Maler sein!“ Sie schwärmte für Lessing, allerdings — wie sie später schreibt — in einer eher platonischen Weise. Über ihren ersten Eindruck von ihrem späteren Ehemann, den sie zuerst sonntags bei seiner Predigt in der Kirche sah, sagte sie, als ihre Schwester sie danach fragte: er predige ganz gut, sonst ließ er mich aber ganz kalt!“ Dann, bei der Taufe des ersten Kindes ihres Vetters Peter Heuser, lernte sie ihn kennen: „Bei uns war es ein alter Aberglaube, daß man den Herrn, womit man bei einer Taufe auf demselben Brett stehe, heirathen müsse … Ich sehe verlegen auf den Boden und sehe, daß ich auf demselben Brett stehe wie der Pastor, ich stoße Ida und wir lachen und ich trete zurück, ich dachte, na das fehlte mir noch!!“
Der Pastor besuchte die Familie Heuser in der folgenden Zeit häufig und machte Adeline auch kurze Zeit später einen Heiratsantrag, den sie aber ablehnte. Allerdings waren ihre Eltern über ihre schon einmal gelöste Verlobung nicht sehr erfreut gewesen und drängten sie zu dieser Heirat: „Mein Vater hatte mir schon gesagt: Line, wenn du den nicht nimmst, sind wir dir alle böse! Da war mein Schicksal nun besiegelt und ich heirathete.“ 1892, fünf Jahre vor ihrem Tod, resümierte sie noch einmal in einem Brief: „Ich hätte meinem inneren Beruf treu bleiben müssen und Künstlerin bleiben, das war das Richtige. Jaeger fand leicht eine Frau, die besser in die Verhältnisse paßte wie ich; meine Reue kam schon vor der Hochzeit, und wären damals so gute Verbindungen gewesen wie jetzt, ich wäre durchgebrannt, doch es war zu schwierig, obgleich ich es mir oft bedachte und da ich schon eine Verlobung gelöst hatte, dachte ich an den Zorn der Eltern.“
Doch blieb ihr nur noch wenig Zeit zum Malen, denn aus der Ehe mit Friedrich Wilhelm Jaeger entstammten fünf Kinder. Am 9. Juni 1839 wurde bereits das erste Kind geboren, Carl Eduard. In den folgenden sieben Jahren wurden noch weitere drei Kinder geboren: am 12. Juli 1841 kam Louise Adeline, genannt Adele, zur Welt, am 27. Juni 1844 Clara Emma Maria, die das Maltalent der Mutter erbte, und am 24. August 1846 Friedrich Wilhelm.
Das fünfte Kind, Ida (geboren am 24. Mai 1848), ist im Gummersbacher Familienregister nicht mehr auf geführt, da die Familie Jaeger 1848 nach Köln umzog. In der dortigen evangelischen Gemeinde war beschlossen worden, die Stelle des Hilfspredigers in eine dritte Pfarrstelle umzuwandeln, da die Seelenzahl der evangelischen Gemeinde Köln stark gestiegen war. (12) So trat Friedrich Wilhelm Jaeger am 21. Mai 1848 die Stelle als einer der drei Pfarrer der drei neu eingeteilten Bezirke an; im Laufe seiner Karriere wurde er 1859 sogar Superintendent, also Leiter des Kirchenkreises. Die Familie Jaeger wohnte erst im Berlich 14, wie uns die Adreßbücher der Stadt Köln von 1848 und 1849 mitteilen, dann in der Antoniterstraße 16 bzw. 34 neben der Antoniterkirche an der Schildergasse, die 1802 der evangelischen Gemeinde Köln als erste evangelische Predigtstätte übergeben worden war.
Für Adeline war der Umzug ein Glücksfall, denn von Köln aus war Düsseldorf viel leichter zu erreichen: „Ich konnte, wenn ich ein Bildchen angefangen hatte, es mit nach Düsseldorf nehmen und dort vollenden, so habe ich dann auch einen Kopf bei Sohn im Atelier gemalt …“ Am 4. Dezember 1868 starb Pfarrer Friedrich Wilhelm Jaeger und seine Witwe zog zu den Verwandten an den nahegelegenen Neumarkt in das berühmte Richmodishaus. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gab sie Stunden und nahm Pensionärinnen auf. (13) Seit 1879 ist sie im Kölner Adreßbuch nicht mehr erwähnt. Im Bonner Stadtarchiv findet sich aber eine Meldekartei, die besagt, daß die Witwe von Friedrich Wilhelm Jaeger am 4. Juni 1879 nach Bonn gezogen ist, und zwar in die Thomastraße la, ein Haus, welches heute nicht mehr existiert. Seit Mai 1885 wohnte sie im ganz nahe gelegenen Haus Meckenheimer Straße 71. (14) Aus einem Brief vom Juli 1883 geht hervor, daß die alte Wohnung wohl „ein wahrer Brutkasten“ gewesen sei und deshalb der Umzug nötig wurde. Die Meckenheimer Straße entspricht den heutigen Straßenzügen Thomas-Mann-Straße und Meckenheimer Allee, bei der Nr. 71 handelt es sich um das Gebäude Meckenheimer Allee/Fcke Quantiusstraße, in dem sich jetzt ein Feinkostgeschäft befindet.
Für den 28. April 1887 ist auf ihrer Bonner Meldekartei der Umzug nach Oberkassel verzeichnet: Dort wohnte sie mit ihren beiden unverheirateten Töchtern Adele und Ida in der Bahnhofstraße 8 (entsprach der Nr. 65 der laufenden Numerierung der Häuser), der heutigen Kaikuhlstraße. Als sie in Oberkassel lebte, war sie schon sehr krank, sie litt an der Gicht, die sie aber nicht vom Malen abhielt. Es muß aber sehr schwierig gewesen sein, trotz der Krankheit zu malen, denn in einem Brief vom 26. Juni 1893, also vier Jahre vor ihrem Tod, schreibt sie: „Vormittags male ich noch immer, aber es geht doch sehr bergab, lange soll es wohl nicht mehr halten, ich denke, der Faden bricht einmal plötzlich ab.“ In ihrer Oberkasseler Zeit blickte sie in zahlreichen Briefen, die sie an ihre Verwandten schrieb, auf ihr Leben zurück, ein aufopferungsvolles Leben, das ihr kaum Zeit für das ließ, was sie als ihre eigentliche Berufung empfand. Sie war gegen ihren Willen in eine Rolle gedrängt worden, die sie mit fast allen ihren Geschlechtsgenossinnen teilte und der man sich in dieser Zeit als Frau praktisch nicht entziehen konnte.
In einem Brief aus dem Jahr 1892 finden wir ein besonders eindrucksvolles Dokument über die Erziehung der damaligen Zeit: „Wir hatten in Gummersbach einen sehr tüchtigen Elementarlehrer, der besonders auf das Gemüth der Kinder zu wirken suchte. Er erzählte uns stets Geschichten, worin Großmuth geübt wurde und suchte uns früh entsagen zu üben. Bald sollten wir unsere Lieblingsgerichte verschmähen oder einen Lieblingswunsch aufgeben. So bildete sich bei mir eine Aufopferungslust aus und ich sagte mir oft vor, daß es schöner sei andere zu beglücken als selbst glücklich zu sein, ich lernte aber im späteren Leben kennen, daß es nicht das Rechte ist, denn man kann nicht glücklich machen, wenn man es nicht selbst ist.“ Auch die letzten Zeilen ihrer Lebenserinnerungen zeugen von der tiefen Reue, die sie über ihren Entschluß zu heiraten und nicht hauptberuflich Malerin zu werden, empfand: „Wie gerne wäre ich dort (in Düsseldorf) geblieben … Hatten doch die Maler es ausgesprochen, als ich Abschied nahm, daß es schade sei, daß ich wegginge, denn ich hätte entschieden Talent; hätten sie es eher gesagt, wäre es anders gekommen, denn ich fürchtete stets, ich würde nichts und hätte kein Talent. Ich war zu bescheiden, später sah ich es ein.“
In der Oberkasseler Zeit entstanden vermehrt Landschaften und Blumenstilleben, von denen sich noch zwei in Oberkasseler Privatbesitz befinden, ebenso eine mit Margeriten bemalte grüne Elasche. Weiterhin existieren in Oberkassel zwei bemalte Teller von Adeline Jaeger: der eine, mit Rosenblüten auf schwarzem Hintergrund bemalt, befindet sich wie schon erwähnt, im Besitz des Oberkasseler Heimatvereins und kann dort nach Absprache auch besichtigt werden. Ein weiterer Teller befindet sich in dem obengenannten Oberkasseler Privatbesitz, ferner das Bildnis einer betenden Frau in Küdinghoven. Die meisten Werke von Adeline Jaeger sind inzwischen aber im Schloß Homburg bei Nümbrecht vereint, ebenso wie Werke ihrer Schwestern, ihrer Tante und ihrer Tochter Clara. So wird man dort in Zukunft, wenn die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sind, eine Sammlung von Zeichnungen und Bildern sehen können, die die Geschichte von drei Generationen aus der Malerfamilie Jügel/Heuser dokumentieren.
Anmerkungen
- Ellen Spickernagel, Geschichte und Geschlecht. Der feministische Ansatz, in: Kunstgeschichte. Eine Einführung, Hrsg. von H. Belting u. a., Berlin 1986, S. 265.
- Aus diesen handschriftlichen Lebenserinnerungen wird im folgenden des öfteren ohne weiteren Vermerk zitiert, dasselbe gilt für die ebenfalls handschriftlichen und unveröffentlichten Briefe [diese Manuskripte befinden sich zum Teil als Kopien (Lebenserinnerungen), zum Teil als Originale, im Besitz von Frau Dr. Ingeborg Wittichen, Celle].
- Ingeborg Wittichen, Oberbergische Malerinnen des 19. Jahrhunderts aus der Familie Jügel/Heuser, hrsg. vom Museum des Oberbergischen Landes auf Schloß Homburg im Auftrag des Oberbergischen Kreises 1980, S. 9.
- Allgemeines Künstlerlexikon, hrsg. von Thieme/Becker.
- Wittichen, S. 9.
- Marie-Sophie Dumolin, Zu den Gemälden der Düsseldorfer Malerschule im Stadtmuseum Bonn, in: Wilhelm Schadow und sein Kreis. Materialien und Dokumente zur Düsseldofer Malerschule, Ausst.Kat. Bonn 1992, vgl. S. 13.
- Ruth Richter, Zur Entwicklung des Porträtstils in der deutschen Malerei von 1830 bis 1880, Dissertation Heidelberg 1936.
- Stefan Germer u. Barbara Lange-Pütz (Hrsg.), Porträts im Rheinischen Landesmuseum vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, Bonn 1990, S. 72.
- Dumolin, S. 17.
- Ekkehard Mai: Die Düsseldorfer Malerschule und die Malerei des 19. Jahrhunderts, in: Die Düsseldorfer Malerschule, Ausst.Kat. Düsseldorf 1979.
- vgl. Mai, S. 23.
- August Herrmann Rebensburg, Hundert Jahre der Evangelischen Gemeinde Cöln am Rhein, 1802—1902, Festschrift Köln 1902, S. 336.
- Wittichen, S. 15.
- Brief vom Januar 1885.